Die Auferstehungsszene – gemalt vom Dominikaner Fra Angelico (1395 – 1455), betrachtet von Pater Thomas Brogl OP, Provinzial der süddeutsch-österreichischen Dominikanerprovinz vom hl. Albert:
Eine im zweiten Blick merkwürdige Osterdarstellung unseres Mitbruders Fra Angelico – wie ein Nebeneinander von ganz Verschiedenem. Da ist zum einen der Engel am Grab, der mit beiden Händen gleichzeitig predigt. „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ Die andere Hand weist nach unten: „Er ist nicht hier, er ist auferstanden“. Ostern weist in zwei Richtungen. Der Blick nach unten, zum Grab: zur Realität von Tod, Leid und Schmerz; zugleich der Blick zum Himmel, wo wir den Auferstandenen sehen – in einer Mischung aus Ostern und Himmelfahrt und mit Palme und Fahne als Zeichen des Sieges. Davor sehen wir vier Frauen, die Salbgefäße für den Toten halten. Sie sind die ersten Auferstehungszeuginnen. Zunächst einmal aber wollen sie einen Dienst am Toten tun: die Salbung des Leichnams. Die erste ist schon ans Grab getreten und blickt hinein. Sie hält sich die Hand über die Augen, um wirklich genau zu schauen, was im Grab ist. Der Blick hat etwas Ungläubiges, denn das Grab ist leer. Eine zweite Frau folgt diesem Blick; die anderen beiden blicken auf den Engel.
Ihr Blick ist noch gebunden
Was aber besonders merkwürdig ist: Der Auferstandene ist da, aber die Frauen sehen ihn nicht, weil er hinter ihnen ist. Ihr Blick ist noch gebunden – auf das Grab und auf den Engel. Obwohl die Auferstehung schon Realität ist, erreicht sie diese Realität noch nicht. Ihre Augen sind noch „gehalten“ (Lk 24,16). Der französische Theologe Michele de Certeau schreibt zu diesem Schriftwort: „Zu sehr sind sie von dem in Beschlag genommen, was sie verloren haben, um das sehen zu können, was ihnen geschenkt ist. … Sie hängen noch am Schatz, den sie zu besitzen glaubten und der ihnen entrissen wurde; diesen verloren gegangenen Reichtum halten sie ins sich selbst fest“.
Kirche in Deutschland
Diese Situation am Ostermorgen trifft auch gut unsere Situation als Kirche in Deutschland. Da ist noch einiges „gehalten“ in dem, wie wir es kennen und gewohnt sind – merkwürdigerweise auf sogenannter progressiver wie konservativer Seite. Und es fällt noch schwer, zu glauben, dass wir nun Christus in veränderter Gestalt finden – in einem Blick, der sich umwendet. Dazu ist aber mit Fra Angelico und mit einem Wort von Johannes Tauler: eine „Kehre“ notwendig. Dies wird verbunden sein mit einem Inblick-Nehmen zur Erfahrung der vielen Leerstellen, „Abwesenheiten“ und Erschöpfungen, die unsere Gesellschaft und unsere Kirche prägen – von der Gerechtigkeitsfrage bis hin zum „burn out“, das die Soziologen als der „Krankheit unserer Zeit“ kennzeichnen. In Begegnungen kommt mir zudem immer wieder entgegen, dass manche, die sich angezogen fühlen vom Glauben und der Spiritualität der Kirche, „Angst“ haben vor unserer Kirche in ihrem, wie sie es wahrnehmen, machtvollen Zugriff auf den Einzelnen. Und die verschiedenen Prozesse in der Kirche zeigen, wie schwer wir uns tun, wirklich zu hören, Raum zu geben und nicht ängstlich und machtvoll unsere Meinung durchzusetzen. Letztlich sind wir immer noch in einer ängstlichen Verteidigungshaltung. Die Positionen und Prozesse in der Kirche strahlen noch nicht Freiheit und Gelassenheit, sich vom hl. Geist führen zu lassen, aus.
Aufbruch-Punkt: das leere Grab
Man fragt sich, ob mit Certeau gesprochen, bei uns hier nicht letztlich ein Mangel an Glauben zu sehen ist. „Glauben“ heißt „kommen“ oder „folgen“ (eine durch Trennung gekennzeichnete Geste), seinen Ort verlassen, durch dieses Exil außerhalb der Identität und des Kontrakts entwaffnet werden, mithin auf Besitz und Erbe verzichten, um der Stimme des Anderen ausgeliefert und von seinem Kommen oder seiner Antwort abhängig zu werden“. Von ihrem Wesen her ist Kirche, mit einem Wort von Ute Leimgruber, „Inkarnationsraum“ – gerade auch für das Ungewiss-Neuartige: Ein Raum, in dem das Herausfordernde der Gegenwart im hl. Geist und im Blick auf das Evangelium anverwandelt werden kann. Dabei ist der Aufbruch-Punkt das leere Grab. Der Jesus von Ostern ist nach Certeau zunächst einmal der, der fehlt, der nicht mehr am vertrauten Ort und in der vertrauten Gestalt zu finden ist. Wie bei Fra Angelico schön dargestellt ist, ist der Ort, der eine Verbindung zu Jesus versprach, leer. Er findet sich im Fremden – im Rücken und in fremder Gestalt. Dazu muss sich aber die Kirche, besonders auch wir als Dominikaner, mit den Menschen unserer Zeit auf die Suche machen – mit einem Wort von Habermas ausgehend von einem „Bewusstsein von dem, was fehlt“. Dort ist der Ort, an dem Kirche neu dem Auferstandenen begegnet und somit auch selbst „Anders-Ort“, Ort der Auferstehung wird.